Das Dokumentarische fungierte vor langer Zeit einmal als Gegenspielerin der Kunst. Dieses Verhältnis hat sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt, denn sowohl in der zeitgenössischen Kunst wie auch in kunst- und medienwissenschaftlichen Debatten ist ein stetig zunehmendes Interesse an Praktiken des Dokumentarischen zu beobachten. Der Diskurs über dessen Formen, Inhalte, Strategien und Potentiale hat sich mehr und mehr ausdifferenziert und seine Impulse dazu aus ganz unterschiedlichen Disziplinen erhalten: aus den Medienwissenschaften, der Kunstgeschichte, Bildwissenschaft, Philosophie und Ethnologie wie auch den Cultural-, Visual- und Postcolonial Studies. In den Blick rücken dabei immer wieder Fragen nach Authentizität und Evidenz, nach den Konstitutionen und Konstruktionen von Wirklichkeit/en und Wahrheit/en, nach Verfahren des Beglaubigens und des Beweisens, Strategien des Sichtbarmachens und nicht zuletzt nach dem Verhältnis von Ästhetik und Politik. Das Dokumentarische neu und anders zu denken wurde nicht von allen Seiten begrüßt, so schreibt Allan Douglass Coleman noch im Jahr 1985: „Der allgemeine Tenor dieses neu erfundenen Dokumentarismus ist herzlos, hinterhältig, ironisch, feindselig: feindselig gegenüber der Vergangenheit, feindselig gegenüber der Gegenwart.“ Um genau solche dokumentarischen Strategien, die Coleman mit diesem Zitat anspricht, geht es im Seminar. Einen Schwerpunkt bilden die Positionen von Martha Rosler, Allan Sekula, Taryn Simon und Hito Steyerl, deren Ansätze eine Neubestimmung des Dokumentarischen verbindet, die sich sowohl auf theoretischer wie auch (medien/kunst)praktischer Ebene ereignet.
Das Seminar nimmt die Kunst als seismographisches Experimentierfeld in den Blick, in dem die Potentiale des Dokumentarischen wie auch dessen politische und performative Dimensionen erkundet und ausgelotet werden. Es bietet damit sowohl einen Einblick in die Theoriegeschichte des Dokumentarischen wie auch dessen Geschichte und Präsenz im Feld der Kunst.